Romanistik
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Operninszenierung des kanonischen Repertoires heute

Workshop am Samstag, 11. Februar 2023, 14:00 - 19:00 Uhr im Multifunktionsraum des Philologicums, Ludwigstr. 25 (im EG rechts)

12.02.2023

Seit geraumer Zeit steht die Oper im Visier einer schneidenden Kritik: misogyn, rassistisch, imperialistisch-kolonial, elitär. Libretti, von Weißen geschrieben, bringen die nach den schlimmsten rassistischen clichés ausbuchstabierten Figuren auf die Bühne (der geile, blutrünstige Schwarze Monostatos der Zauberflöte, Otello, der „Mohr von Venedig“, der rasend eifersüchtig seine Frau ermordet, der islamische Versklaver und Frauenräuber Bassa Selim in der Entführung aus dem Serail).

Opern, von Männern geschrieben, übererfüllen ein gender cliché nach dem anderen. Frauen werden als perverse Monster wie die Königin der Nacht, als kopflose Flittchen wie in Cosi fan tutte dargestellt, als unterwürfige Japanerinnen wie Madame Butterfly zum Abziehbild der imperialen, westlichen Sexphantasie (Susan McClary). Vor allen Dingen werden sie zu Opfern. Die bürgerlich-patriarchalischen Gesellschaften zelebrierten hier einen Kult des Frauenopfers (Catherine Clément). „Nicht schon wieder eine tote Frau auf der Bühne“, war die Einrede gegen die Oper des 19. Jahrhunderts. Norma geht auf den Scheiterhaufen, Lucia di Lammermoor findet als wahnsinnige Gattenmörderin den Tod, Mimi erliegt der Schwindsucht, Gilda lässt sich erdolchen, Violetta opfert ihre Liebe und stirbt, Manon Lescaut verdurstet in der Wüste, Carmen wird erstochen, Madame Butterfly bringt sich um, Lulu wird von Jack the Ripper abgestochen – nur die Marschallin muss nicht ihr Leben lassen, aber auf sexuelle Erfüllung doch verzichten. Nicht noch ein, nicht schon wieder ein Frauenopfer: billig seien unsere Tränen, die über ihren Leichen fließen; das Pathos nichts als Bestätigung unserer schönen Menschlichkeit. Wohlfeil genössen wir, parfümiert in nicht eben preisgünstigen Logen, in himmlischen Stimmen das eigene Mitleiden: zu Tränen gerührt von auf der Bühne schön Sterbenden. Und jeder Sitz, sowieso schon so teuer, von Steuern subventioniert.

Ist der Kult, der da gefeiert wird, die „Vernichtung der Frauen“, wirklich der Triumph einer patriarchalen Gesellschaft? Triumphiert hier der Westen über seine von ihm als „anders“ gebrandmarkten? Ist die Opernbühne, übersät von Frauenleichen, ein Ort der Wiederkehr barbarischer Menschenopfer, wie sie die christlichen und die säkularen-aufgeklärten Gesellschaften gleichermaßen hinter sich zu lassen hofften? Zeitgemäß, so die Aburteilung der Oper, sieht anders aus. Die Musik mag gerecht sein, die Libretti sicher nicht. Die Oper, aber Gesamtereignis, aber vielleicht doch State of the Art? À voir.

Darüber sprechen
Claire Schleeger - Moritz Senft-Raiß, Film und Oper?
Gerhard Regn - Barbara Vinken, La Traviata. "sublime, sublime vittima". Opfer von wem für was?
Michael Rieser - Anselm Haverkamp, Monteverdis Hohelied, Desdemonas Ave Maria.
Jürgen Schläder, Frauenopfer: Verdis Desdemona und Aïda.
Dieter-Ingenschay - Christian GrünnagelFlorian Mehltretter, Oper und Genderkorsett. Zur Geschlechtertypisierung der Stimmfächer.