Erfahrungsberichte (2025)
Spreekt/Sie/Belge?
Um es in Anlehnung an René Magritte zu formulieren: Ceci n’est pas la France… mais la Belgique! Und ja – Belgien existiert wirklich. Nicht nur als Exkurs im Schulbuch, sondern als Land, das viel zu bieten hat, jedoch oft übersehen wird – zu Unrecht. Denn hier geht man nicht „aux toilettes“, sondern „à la toilette“, weil man nicht suchen muss, bis man die eine saubere findet – und das sagt mehr über Belgien, als jeder Reiseführer. Willkommen bei Belgisch für Anfänger, Lektion 1. Und wo ließe sich dieses Insiderwissen besser erwerben als live vor Ort – im Zuge einer totalen Immersion, ganz im Sinne der Berlitz’schen méthodologie directe?
Zu meinem Glück wurde ich als Stipendiatin der Organisation Wallonie-Bruxelles International (WBI) ausgewählt, um vom 4. bis zum 20. August 2025 das Münchner Puzzleteil der „formation initiale pour futurs professeurs de français non francophones“ in Liège (Lüttich) sein zu dürfen: mein erster Oufti-Moment – eine Emotion irgendwo zwischen Erleichterung, Überraschung und Freude. Weitere Überraschungen folgten nach meiner Ankunft an der Gare de Guillemins de Liège – ein futuristisches Alien aus Stahl und Glas, geschaffen von Santiago Calatrava, das die Lütticher zwischen mittelalterlichen Gemäuern gern als deplatziert empfinden. Willkommen bei Belgisch für Anfänger, Lektion 2. Belgien – ein Land voller Kontraste, die sofort ins Auge springen. Und warum sich entscheiden, wenn man alles haben kann? Belgien bietet von der Sprachenvielfalt – Französisch, Flämisch und Deutsch – bis zum diversifizierten Kursprogramm des Institut Supérieur des Langues Vivantes (Institut für moderne Sprachen) alles, was man sich vorstellen kann. Wir, 57 angehende und bereits praktizierende Französischlehrkräfte aus aller Welt, durften genau dieses Programm erleben – einen einmaligen Einblick in die belgische Kultur und Unterrichtspraxis, welche insbesondere einem grundlegenden Wandel durch ein weiteres futuristisches Alien namens ChatGPT unterworfen ist. In den vierzehn Stunden belgischer Landeskunde setzten wir uns mit Geographie, Kulinarik, der Neuvième Art (Comic-Kultur), Literatur, Musik und der Filmlandschaft auseinander – und bestritten sogar ein thematisches Escapegame. Doch damit nicht genug: Weitere 46 Stunden standen unter dem Zeichen der Ateliers didactiques du FLE. Wir beschäftigten uns mit dem Wie der Vermittlung – unterstützt durch praktische Aktivitäten, die oftmals ein Ausbrechen aus der eigenen Komfortzone erfordern, wie einen Theaterkurs, gemeinsames Kochen der Lütticher Buletten sowie eine eigene KI-Einheit rund um Apps wie Quiz Wizard. Dabei überlegten wir gemeinsam, wie Tools wie ChatGPT unserem Schülerklientel helfen könnten, ihre Texte selbstständig zu korrigieren oder sie in Erörterungen oder Literaturrecherche als Profis auszubilden.
Um auch die belgische Kultur noch besser im Klassenzimmer verankern zu können, ging es für uns im Rahmen der Activités culturelles wie bei einem Roadtrip von Lüttich (Liège) nach Rodenbachs Brügge (Bruges) bis nach Brüssel (Bruxelles) und Namur. Dabei machten wir Abstecher in eine Karaokebar, das bierbrauende Kloster Abbaye du Val-Dieu und wanderten von einem Straßenkunstwerk zum nächsten, wobei wir insbesondere in Lüttich das Privileg hatten, der Fête du 15 août der Outre-Meuse Folklore beizuwohnen, was es mir als Münchner Kindl ermöglichte, meine Bierkultur noch um das Curtius-Bier, la Chouffe, la Duvel, la Leffe und viele mehr bis hin zu der Lütticher Pèkèt-Spezialität zu erweitern. So wurde der Belgienaufenthalt zu einer Erfahrung, für die ich sehr dankbar bin. Eine Erfahrung, die ich unter keinen Umständen missen möchte und jederzeit weiterempfehlen würde.
Um mit einem Belgizismus zu schließen: La Belgique, ça me goûte! Und ja, vielleicht bin ich eines Tages „schuldig im Sinne der Anklage“ – wenn neben der Studienfahrt nach Paris plötzlich eine Reise nach Brüssel ausgeschrieben ist, aus meinem Klassenzimmer die Stimme Jacques Brels erklingt oder wir Amélie Nothomb und Caroline Lamarche im Kurs lesen, während jeder Schüler mit dem Schulaufgabenblatt einen belgischen Glücks-Cuberdon ausgeteilt bekommt. Aber ich kann nun stolz sagen: Ich bin Teil eines Netzwerks geworden, das einen jederzeit auffängt, wenn Austausch, Unterstützung oder Materialien nötig sind – und das zugleich durch die eigenen Impulse gestärkt wird. Drei Wochen intensiver gemeinsamer Erlebnisse genügen, um aus Fremden, die gemeinsam in einem Internat wohnen und sich die dritte Lektion Belgisch für Anfänger: déjeuner …. dîner …… souper gemeinsam aneignen, Freunde zu machen. Was mich besonders berührt hat: Die Idee, die Francophonie jenseits des theoretischen Konzeptes live zu erleben. Zu erfahren, dass wir alle ein Teil davon sein können und sie mit unseren individuellen Einschlägen – trotz oder gerade wegen unserer Akzente – bereichern können. Also: Ceci n’est pas un adieu, sondern der Beginn einer großen, gemeinsamen einzigartigen Zusammenarbeit – und eine weit geöffnete Tür, durch die zukünftige Schüler die belgische Welt mit all ihren Farben, Stimmen und Überraschungen entdecken können, um Belgien nicht nur zu sehen, sondern zu erleben, zu hören, zu schmecken und zu fühlen.
Bilder & Text: Kathrin Klemm
(Lehramtsstudentin mit den Fächern Französisch und Deutsch)
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- Rapport sur le voyage en Belgique (6 MByte)